MUSICAL DIRECTION | Diego Fasolis |
STAGE | Jens Kilian |
DRAMATURGY | Mark Schachtsiek, Roman Reeger |
COSTUME | Julia Rösler |
LIGHT | Olaf Freese, Irene Selka |
EXTRAS | Staatsoper Unter den Linden |
WITH: | Max Emanuel Cencic |
Katharina Kammerloher | |
Anna Prohaska | |
Roberta Mameli | |
Xavier Sabata | |
Franz-Josef Selig | |
Gyula Orendt | |
Lucia Cirillo | |
Jochen Kowalski | |
Mark Milhofer | |
Narine Yeghiyan | |
Linard Vrielink | |
David Ostrek | |
Artina Kapreljan | |
Noah Schurz | |
Evelin Novak | |
Florian Hoffmann |
,,Die Berliner Staatsoper Unter den Linden, 275 Jahre alt, zeigt mit „Hänsel und Gretel“ ebenso wie mit der „Krönung der Poppea“ Musiktheater von Spitzenrang.
Das Seziermesser – auch das Rasiermesser – hingegen setzt einen Tag später Eva-Maria Höckmayr an für ihre Inszenierung von Claudio Monteverdis Oper „L’incoronazione di Poppea“. Zwei Körperwelten stellt sie einander gegenüber: den repräsentativen, sozialen Körper und den biologischen. Das Repräsentative gehorcht einer festen Kleiderordnung – mit Reifröcken und spanischen Halskrausen von Julia Rösler – sowie einem kreisenden Zeremoniell auf der abstrakten Bühne von Jens Kilian. Das Biologische entlädt sich in immer neuen Pas de deux und Pas de trois der sexuellen Hörigkeit von keuchend-heißer Drastik.Das zivilisationspessimistische Fazit dieses Stücks, dass nämlich sexuelle Energie sich nicht zähmen lässt, wird von Höckmayr mit aller Grausamkeit gezogen. Sogar der Leichnam des toten Seneca, der sich mit einem Rasiermesser die Halsschlagader durchschnitt, vermag die Triebgetriebenen allenfalls zu erschrecken, gebietet ihnen aber keinen Einhalt. Nur das Zittern der Poppea im Moment ihrer Krönung verrät die psychosomatische Abstoßungsreaktion des biologischen Körpers gegen den repräsentativen – während umgekehrt zuvor in der Entkleidung der Kaiserin Octavia mit dem sozialen Körper zugleich der biologische geschändet wurde. (…) Das ist Musiktheater von Spitzenrang. Darüber freue sich nun getrost die Stadt und der Erdkreis.”
FAZ, Jan Brachmann, 11.12.2017
,,Regisseurin Eva Höckmayr zeigt bei der Premiere am 9. Dezember ein beeindruckendes Gefühl für Zwischenzeilen und Zwischentöne. (…) Es ist das Bild einer dekadenten, skrupellosen Gesellschaft um den Kaiser Nero und seine Geliebte Poppea, das Monteverdi hier entwirft und das in Berlin Dirigent Diego Fasolis mit der Akademie für Alte Musik im Graben und Regisseurin Eva-Maria Höckmayr auf der goldfarbenen Bühne lust- und kunstvoll nachzeichnen. Je verwerflicher die Figuren, desto schöner, purer, güldener die Musik. (…) Regisseurin Eva-Maria Höckmayr benötigt für das Spiel um Macht, Ego und Sex nicht mehr als eine blattgoldene Bühnen-Fläche ohne Requisiten, auf der ihr zum Teil schon recht abgehalftertes Personal in angedeuteten Renaissance-Kostümen die ganze Oper lang vollständig vertreten ist. Schnell fallen – der Liebe und der Lust wegen – erste Hüllen, und der Bezug zu heute, zu immer liegt auf der Hand: so wird aus Poppea alias Anna Prohaska eine moderne, frivole Frau, die den Abend mehrheitlich in Strapse und schwarzer Bluse bestreitet, bevor sie sich am Ende zur eigenen Krönung eiskalt die rote Robe des toten Philosophen Seneca umhängt.
Außerdem besticht die Regie durch parallele Interaktionen derjenigen, die gerade nicht singen. Eva-Maria Höckmayr liest auch die Zwischenzeilen, hört auch die Zwischentöne und nutzt sie zu teils extrem witzigen, teils erhellenden Bühneneinlagen, die das Dickicht der Handlung und das Jeder-hat-fast-was-mit-jedem der Partitur wie nebenbei aufdröseln. (…) Ganz leger und wunderbar gelungen ist zudem das musikalisch-dramatische Wechselspiel aus Hosenrollen, Rockrollen und Countern: auf Höckmayrs Bühne sind Stimme, Geschlecht und Figur keine unverrückbaren Konstanten. Hier geht vieles, miteinander, gegeneinander, auch Neros Abgang im Liebesduett nicht mit der am Ende neurotisch-kriselnden Poppea, sondern mit dem nächsten, neuen Lover Lucano. In dieser Berliner Poppea-Produktion, in der das angeblich so „unmögliche Kunstwerk Oper“ in all seinen Facetten strahlt, ist selbst die Titelheldin am Ende nicht vor Amor sicher.”
BR Klassik, Annika Täuschel, 9.12.2017
,,Repräsentation ist das Stichwort für die goldene, sich hinten zur Wand hochziehende Fläche mit Bremsspuren, die Jens Kilian gebaut hat. Hier gibt es kein Entkommen, bittet Höckmayr die Figuren zur Gesellschaftsaufstellung – in den prächtigen Barock-trifft-heute-Kostümen Julia Röslers. Der Rest sind Pose und Spiel. Das ist hervorragend gemacht, weil im Hintergrund immer etwas passiert, was die Charaktere schärft, kleine Gesten, Gespräche, Tändeleien. Vorne aber regieren die Affekte – und die Musik. Die klingt oft so heutig, wie die Geschichte wirkt: Die Akademie für Alte Musik arbeitet wie Höckmayr mit Überblenden, Zuspitzungen, flirrenden Rhythmen. (…) Auch auf der Bühne herrscht vollendetes Alte-Musik-Glück. Allen voran bei Anna Prohaskas Poppea (…). Hingehen!”
Berliner Morgenpost, Georg Kasch, 11.12.2017
,,Macht und Sex sind in dieser Oper und in dieser kongenialen Inszenierung eins. (…) Die Musik erzählt meist eine ganz andere Wahrheit als das Libretto. Sie lügt, so wie die Figuren lügen. Nur schöner. Weil Musik keine Moral kennt. Ihre Kraft stellt sie der sexuellen Gier so bedingungslos zur Verfügung wie Gott Amor. Das Monster singt so betörend wie sein Opfer. Nichts ist so, wie es in der Musik zu sein scheint. (…) Hier vermählen sich gesellschaftskritisch Commedia dell’Arte und Oper. (…) In dieser zu Recht umjubelten Inszenierung der jungen Regisseurin Eva-Maria Höckmayr ist die Bühne nicht mehr als eine Rampe, die sich im Hintergrund zur Wand biegt, mal silbern schimmernd, mal golden, mal rot wie Blut, mal blau wie die Nacht. Die Farben wechseln wie die Affekte und Ekstasen der Figuren. Alle spielen drei Stunden lang pausenlos mit, niemand tritt auf, niemand ab. Selbst Seneca, dem vor der Pause schon das Blut aus dem Hals spritzt, ist als Leiche bis zum Schlussjubel präsent. (…) Franz-Josef Selig singt einen Mann, der erst im Sterben zum großen Stoiker wird – weil er doch von seiner Unsterblichkeit überzeugt ist. Schwärzer kann Satire nicht sein.”
Der Freitag, Wolfgang Herles, Ausgabe 50/2017
,,Monteverdi und sein kongenialer Textdichter Giovanni Francesco Busenello huldigen in ihrem Meisterwerk einem hemmungslosen hormonellen Hedonismus, der später, im verstandesmäßig eingehegten Zeitalter der Aufklärung, ein Unding werden sollte. (…) Eva-Maria Höckmayr hat das mit ihrem Regieteam unglaublich genau verstanden – und wunderbar feinfühlig in die Inszenierungstat umgesetzt. Was sie denn auch überhaupt nicht nötig hat, ist es, auf Jens Kilians leergeräumter Bühne sensationsheischend allerhand Sexorgien zu veranstalten. Höckmayr setzt stattdessen auf feinfühlige Präzision der Personenführung, viel Ruhe, tänzerische Unmittelbarkeit und gegenseitiges Beobachten. In einem Gesellschaftssystem, das alles erlaubt, muss sich schließlich auch niemand verstecken. Die Travestie ist hier auf einmal das Natürlichste von der Welt, ein flotter Dreier ebenso: Erlaubt ist, was gefällt. (…) All dem über drei zauberhafte Stunden beizuwohnen, ist im Ergebnis auf unspektakuläre Weise spektakulär, es verleiht den Figuren auf liebevoll einfühlsame Weise Fleisch und Blut. Man mag an diesem Abend der vollkommenen Opern-Erfüllung an die Kunst der Verdichtung eines Peter Brook denken, in jedem Fall an die Regie-Könner längst vergangener Zeiten der Oper, (…) ein Abend für die Geschichtsbücher.”
Concerti, Peter Krause, 13.12.2017
,,Der krönende Abschluss der Monteverdi-Trilogie mit dem Dramma per musica ‘L’incoronazione di Poppea’ (1642) wird an der Staatsoper Berlin zum glanzvollen Auftakt im endlich fertig sanierten, doch immer noch nicht ganz funktionierenden Opernhaus Unter den Linden präsentiert. (…) Durch Anna Prohaska wird diese Poppea tatsächlich zum skrupellosen Luder, das sich nach oben schläft, die Männer durch Dessous und sinnliche Berührungen zu betören weiß, zunächst noch abgeschirmt, dann offen auf der Rampe, wenn es sein muss auch zu dritt. Hauptsache es dient dem Aufstieg Poppeas zur Kaiserin. (…) Äußerst amüsant mit einem Hauch Commedia dell’Arte bringt Eva-Maria Höckmayr die beiden Ammen ins Spiel. Jochen Kowalski hält als Ottavias Amme mit einem überdimensioniert breiten Reifrock wie ein Flaggschiff die Stellung am Hofe und rauscht zuweilen raumgreifend dazwischen. (….)”
klassic.com, Michaela Schnabel, 9.12.2017
,,Zum ersten Trommelwirbel entrollt sich das Bühnenbild in Gold von oben hinweg über die Bühnenschräge. Die Figuren, allesamt in ständigen Variationen darauf positioniert, wirken wie kleine Marionetten, die mehr oder weniger große Schatten werfen und tot auf der Drehbühne drapiert zur Allegorie des Lebenskreislaufs zwischen Lust und Mord mutieren. (…) Der skurrile Mix aus bizarren Barockreifröcken, steifen Renaissance-Halskrausen und schicken Party-Dress parodiert die Macht ihrer Träger, entrückt sie durch die raffinierte Lichtregie als Grenzgänger zwischen Diesseits und Jenseits(…), gelingt Regisseurin Eva-Maria Höckmayr das Kunststück permanent die latente Unmoral von Monteverdis Figurenarsenal zu offenbaren. Die Liebe als reine Lust, die Geschichte dazu als Farce zu decouvrieren. (…) Die ständige Präsenz aller Personen auf der Bühne mit immer neuen, überraschenden Handlungsdetails gibt dieser ersten großen Oper der Musikgeschichte eine sehr erheiternde parodistische Zwischenebene – gerade weil die Regie nich mit Bildern zudeckt, sondern die Musik sehr differenziert. (…) Jede Szene ein Genuss für Aug und Ohr, jede Bewegung im Puls der Musik.”
Der neue Tag, 14.12.2017
,,Dass Nero seine Gattin abserviert, um statt ihrer eine Edelprostituierte zu inthronisieren, hat einen moralischen Sinn – als Warnung vor der Macht Amors. (…) Wenn Poppea gekrönt wird, dämmert ihr, dass sie jetzt selbst reif zum Sturz wird. Anna Prohaska in der Titelrolle ist auch künstlerisch das Zentrum der Aufführung. So viel Leichtsinn, Laszivität und Erotik sah ich nie bei einer Poppea. Man spürt, dass diese Kurtisane sowohl Agentin Amors wie Spielball ihrer eigenen Triebe ist. (…)”
rbb Kultur-Radio, Kai Luehrs-Kaiser, 11.12.2017
,,Regisseurin Eva-Maria Höckmayr kommt in ihrer minimalistischen Inszenierung ohne Requisiten aus. Ganz in Gold erstrahlt ihre von Jens Kilian entworfene, sich hinten zur Wand hochziehende Einheitsbühne.Auf ihr versammelt sich das zum Teil schon abgehalfterte Personal, das den ganzen Abend auf der Bühne ohne jedwede Ab- und Aufgänge verbleiben wird. Ein solches Konzept hätte auf Dauer leicht eintönig werden können, aber so wie Höckmayr die jeweiligen Figuren, die gerade nicht singen, geschickt für parallele Interaktionen nutzt, umgeht sie eine solche Gefahr.”
Orpheus, Kirsten Liese, Januar/Februar 2018
,,Das begeisterte Publikum feierte die Eröffnungs-Inszenierung, die mit ihrem vielen Gold und Brokat auch eine Hommage an das Haus darstellt. Die Politik wollte, dass es statt in neuem wieder im alten Glanz erstrahlt, und umso größer wird die Herausforderung für zukünftige künstlerische Teams sein, mit dem historischen Prunk umzugehen und die Gegenwartstauglichkeit von Oper unter Beweis zu stellen. Sich die Geschichte zum Komplizen zu machen statt dagegen anzuspielen, ist ja nur eine – in diesem Falle wunderbare – Möglichkeit.”
Das TheaterMagazin, Karin Winkelsasser, Dezember 2017
,,Für ihre römische Liebesintrige setzte die Regisseurin Eva-Maria Höckmayr allein auf das Spiel. Alle Figuren, renaissance-golden feingemacht von Julia Rösler, sind ständig auf der Bühne, sonst nichts. Jeder sieht alles auf dem glatten altgoldenen Boden, den Jens Kilian auch über die Bühnenrückwand gezogen hat. Selbst ein Liebesspiel ist ein Staatsakt, und Höckmayr gelingt Bühnenerotik, die nicht peinlich ist. (…) Schönheit und der Fantasie bei dieser nun wirklichen Eröffnung der Berliner Staatsoper. Man betritt Unter den Linden eine glückliche Insel.”
Neues Deutschland, Irene Constantin, 11.12.2017
,„Die Krönung der Poppea“ ist, wenn man so will, eine durch und durch unmoralische Oper. Sie wurde zur venezianischen Karnevalszeit gespielt, wenn man das wahre Gesicht und die wahren Absichten gut hinter einer Maske verbergen konnte. (…) Eva-Maria Höckmayr hat also ganz im Einklang mit dem bunten Treiben in der Lagunenstadt gehandelt, wenn sie der ohnehin recht zügellosen Handlung noch einige Perversitäten hinzufügt. (…) bei Poppeas Krönung zur Kaiserin, wenn sie mit Nerone das wundervolle Schlussduett „Pur ti miro, pur ti godo“ / „Dich nur sehen“ singt, nähert sich Lucan abermals dem Kaiser – die beiden gehen eng umschlungen ab und lassen Poppea allein zurück.”
Kieler Nachrichten, Jürgen Gahre, 11.12.2017